Kaum etwas ist umstrittener als das richtige Trinkverhalten in Fitness und Sport. Die Expertenwelt ist sich uneinig. Während die eine Seite das Motto „Viel hilft viel“ vertritt, widersprechen zahlreiche Forscher dieser Haltung mit vermeintlich stichhaltigem Studienmaterial. Das American College of Sports Medicine (ACSM), die höchste Instanz in Sachen Sportmedizin, äußerte sich schon vor vor über 10 Jahren zu dem Thema wie folgt: Bei einem Defizit des Körperwassers von mehr als 2% des Körpergewichts ist ein Maß an Dehydrierung erreicht, das sich negativ auf die Leistung auswirken kann (Casa et al., 2005). Kurz darauf hagelte es allerdings Kritik aus dem fernen Südafrika. Tim Noakes, ein renommierter Professor für Sportphysiologie an der Universität of Cape Town, wetterte darüber, dass die offiziellen Empfehlungen der ACSM maßgeblich vom Marketing der Sportgetränkindustrie beeinflusst seien. Und tatsächlich lässt sich auf der Homepage der ACSM nachlesen, dass die Studie von der Sportnahrungsschmiede Gatorade gesponsert wurde. Skepsis bei gesponserten Studien ist natürlich angebracht. Stellt sich nur die Frage: Was sagen unabhängige Studien zu diesem Thema? Ist Trinken bei körperlicher Belastung vielleicht von geringerer Bedeutung, als uns durch aggressive TV-Werbespots und Getränke-Flatrates in den über 10.000 Fitnessstudios der Republik versprochen wird?

Wasser ist Leben – kann aber auch verdammt tödlich sein!

Zu den Fakten: Wasser ist als Lösungs-und Transportmittel wichtig, es schützt vor Überhitzung und ist Teil der schützenden Schleimhautschicht unseres Immunsystems. Junge Frauen haben etwa 50% Körperwasser und einen Umsatz in Ruhe von 2 Litern pro Tag, junge Männer 60% und 2,5 Liter und Sportler können wie ein Kamel bis zu 70% Körperwasser speichern bei einem Ruheumsatz von ungefähr 3-3,5 Liter täglich. Feucht-heißes wie auch kaltes Klima erhöhen den Wasserbedarf, ebenso wie hohe Salz- und Proteinaufnahme, Fieber, Durchfall und Erbrechen. Der Schweißverlust beim Joggen liegt bei etwa 1 Liter pro Stunde. Bei intensiven Belastungen kann der Bedarf auf 4-10 Liter ansteigen, was einem Verlust von 3,5-7g Natrium entspricht. Je weniger man isst, desto mehr muss getrunken werden. Die Absorptionsrate im Dünndarm liegt bei etwa 900ml pro Stunde in Ruhe, bei intensiver Belastung bei etwa 400-800 ml.

Viel hilft viel? Dehydrierung korrelliert nicht mit Leistungsfähigkeit!

Das ungeschriebene Gesetz der ACSM von 2005, dass ein Wasserverlust von 1-2% die Körperkerntemperatur ansteigen lässt und einen signifikanten Leistungsabfall bewirkt, hielt nicht allzu lange. Denn bereits 2006, also nur ein Jahr nach Veröffentlichung der offiziellen ACSM-Leitlinie, widerlegten Laursen et al. diese Empfehlung. In ihrer Untersuchung mussten 10 Teilnehmer des Iron Man Western Australia vor Beginn des Wettkampfs eine Messsonde schlucken. Nach durchschnittlich 611 Minuten Belastung wurden zahlreiche Parameter erhoben, unter anderem die Körperkerntemperatur. Die stieg lediglich um 1° Celsius an, obwohl die Athleten 10 Stunden bei durchschnittlich 83% der maximalen Herzfrequenz unterwegs waren. Von daher konnte zum einen die Aussage der ACSM widerlegt werden, dass ein Verlust von 3% Körpermasse zu einem Hitzeschock führt. Zum anderen konnte widerlegt werden, dass ein höherer Flüssigkeitsausgleich (80% gegenüber 60%) die Körpertemperatur besser in Schach hält und die Performance steigert. Die Athleten kamen zwar 3% leichter aus dem Wettkampf heraus, als sie hineingingen. Aber: Der Grad an Dehydrierung stand weder im Zusammenhang mit einer höheren Körperkerntemperatur noch mit schlechteren Laufzeiten. Aus diesem Grund gilt auch die Warnung der ACSM als widerlegt, dass Athleten dehydrieren, wenn sie nicht mindestens 600-1200 ml pro Stunde aufnehmen.

Was für Triathlon gilt, muss für Basketball kein Thema sein!

Um das optimale Trinkverhalten besser einschätzen zu können, sollte man wissen, dass Forscher gerne pauschal vom Faktor „Leistung“ sprechen. Das Anforderungsprofil jeder Sportart ist jedoch grundlegend verschieden. Entsprechend sind in den verschiedenen Disziplinen und Sportarten auch völlig unterschiedliche leistungsbestimmende Parameter gefragt. Hierzu passt eine Studie aus dem Basketball: 15 Athleten absolvierten bei unterschiedlichen Hydrationsbedingungen einen Testablauf, der die Spielbedingungen möglichst authentisch simulieren sollte. Wie sich herausstellte, verschlechterte sich die Wurfleistung bei einer Dehydration von 2% des Körpergewichts signifikant. In Bezug auf Ausdauer- und Kraftleistung gab es allerdings keine Unterschiede im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die eine Dehydration durch Trinken entgegenwirkte. Ein 2-prozentiger Wasserverlust wirkte sich also nicht auf die physische Leistungsfähigkeit aus, dafür beeinträchtigte sie aber die feinmotorischen Fähigkeiten. Was für den Triathleten gilt, ist somit nicht zwingend für einen Basketballer relevant. Zwar kann die Zufuhr von Flüssigkeit während der Belastung je nach Sportart von großer Bedeutung sein, pauschale Empfehlungen im Sinne von „One size fits all“ müssen je nach Anforderungsprofil allerdings deutlich differenziert werden.

Die richtige Trinkmenge: Nicht maximal, sondern optimal trinken!

Die Devise sollte daher lauten: Nicht maximal, sondern optimal trinken! Denn nicht nur eine zu niedrige, sondern auch eine zu hohe Zufuhr an Flüssigkeit kann sich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Die Aufnahmekapazität des Darms ist begrenzt und liegt während eines Laufes bei höchstens 400-800 ml pro Stunde. Überschüssige Flüssigkeit kann den Magen-Darm-Trakt des Athleten unnötig belasten. Zudem besteht durch den niedrigen Gehalt an Elektrolyten im normalen Leitungswasser die Gefahr, dass wichtige Mineralstoffe aus den Körperzellen ausgewaschen werden. Deshalb helfen Sporternährungsgetränke gerne mit Natrium, Kalium, Glukose und anderen Zusätzen nach. Elektrolyte folgen dem Gesetz der Osmose bzw. Diffusion: Liegt zwischen einer Zelle und dem Extrazellulärraum ein Konzentrationsgefälle vor, wandern die Teilchen von der höheren Konzentrationsseite auf die niedrigere, um einen Ausgleich zu bewirken. Nimmt ein Athlet also hohe Mengen an elektrolytarmen Trinkwasser zu sich, entweichen Mineralien aus den Zellen. Das betrifft vor allem Natrium. Die Folge könnte ein Leistungseinbruch und im Extremfall sogar der Tod durch eine Hyponatriämie sein. Die dafür benötigte Menge an Wasser ist allerdings utopisch hoch. In einem dokumentierten Fall aus dem Jahr 2005 versuchte sich ein kalifornischer Student an einem 20 Liter-Krug und starb an den Folgen der Hyponatriämie.

Überbewertet: Ausdauer bis 4 Stunden nur von Natrium abhängig!

Aber zurück zum Wassermangel: Tim Naokes bestätigt, ein übermäßiges Trinken über den Durst hinaus, habe keinen Vorteil. Im Gegenteil: Zu viel Trinken steigert die Gefahr einer Hyponatriämie. Die Gefahr eines akuten Mineralmangels ist in Sportarten, in denen bei moderater Außentemperatur nicht übermäßig viel Schweiß fließt, ohnehin minimal. Im Bereich der Langzeitausdauer spielt die richtige Flüssigkeitszufuhr schon eher eine Rolle. Denn bereits bei einem 10 km-Lauf können 1-1,5 Liter Flüssigkeit verlorengehen. Während eines Marathons potenziert sich der Verlust auf etwa 4 Liter, bei einem Ironman-Triathlon auf bis zu 16 Liter. Da bei hohem Trainingsumfang über den Schweiß hohe Mengen an Wasser und Mineralstoffen ausgeschieden werden, spricht der ehemalige Profi-Triathlet Olaf Sabatschus folgende Empfehlung aus: „Bei Belastungen bis zu 4 Stunden spielen alle Mineralien mit Ausnahme von Natrium eine untergeordnete Rolle. Erst danach sollte man auch auf andere Mineralien achten, sofern man auf feste Nahrung wie Bananen oder Energieriegel verzichtet.“ Darüber hinaus betont der Ironman-Champion, dass in einem Sportgetränk nicht mehr Zucker oder Natrium sein dürfen, als in den roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Dies würde die Aufnahmefähigkeit behindern. Doch warum Glukose und Salz? Salz besteht bekanntlich aus zwei Molekülen, Natrium und Chlorid. Natrium reguliert zahlreiche Funktionen, ohne die eine Muskelzelle nicht optimal arbeiten kann. Über den Schweiß scheiden wir ca. 2-3 Gramm pro Liter aus, wobei mit Abstand am meisten Natrium verloren geht.

Der Kampf zwischen Gehirn und Muskel? Wer macht zuerst schlapp?

In Sachen Glukose sind die Depots im Körper mit 400-500g in Leber und Muskel ziemlich begrenzt. Verringert sich die verfügbare Menge, muss der Körper auf Fette als Energieträger zurückgreifen. Das ist zwar wünschenswert und ökonomisch, führt aber zu Energiekrisen im Gehirn, wenn Athleten sich durchweg kohlenhydratreich ernähren. In dem Fall ist ihr Stoffwechsel nicht keto-adaptiert ist, d.h. das zentrales Nervensystem kann bei Glykogenverarmung nicht schnell genug auf Ketone als Energieträger für die Nervenzellen umschalten. Deshalb empfiehlt Sabatschus: „Das optimale Sportgetränk sollte pro Liter 450 mg Natrium (das entspricht 1,3g Haushaltssalz) und 60-100g Kohlenhydrate enthalten.“ Die Art der Kohlenhydrate spielt seiner Meinung nach keine Rolle. Er empfiehlt Glucose, Saccharose oder Maltodextrin. Klingt nach ein bisschen viel Zucker. Andere sprechen von 40-60g Kohlenhydrate. Keto-adaptierte Athleten, deren Gehirn darauf trainiert ist, sich mit Ketonen zu versorgen, kommen mit wesentlich geringen Mengen aus. In der zitierten Basketballstudie wirkte sich ein Kohlenhydrat-Elektrolytgetränk in jedem Fall positiv auf die Leistung aus. Während die Wurfleistung bei Dehydration sank, konnte sie durch eine Versorgung mit dem Zuckergemisch verbessert werden. Einschränkend muss man allerdings erwähnt werden , dass die Probanden nicht auf Low Carb und High Fat trainiert waren. Deshalb leidet natürlich die Feinmotorik bei geringstem Anzeichen von Zuckermangel.

Das Kamel-Prinzip: Erst Höcker leeren, dann saufen wie ein Loch!

Fazit: Um im Wettkampf eine optimale Leistung abzurufen, gilt es das adäquate Maß im Trinkverhalten zu finden. Bei ausdauernden Sportarten mit hohen Anforderungen an die Feinmotorik, wie zum Beispiel lange Tennismatches, sollte für eine ausreichende Hydration spätestens nach 60 Minuten Spielzeit gesorgt werden. Der Wasserverlust sollte nicht über 1% des Körpergewichts hinausgehen. Im Gegensatz dazu können Ausdauersportler mit Verlusten von 2-3% durchaus ohne größere Leistungseinbuße auskommen. Um den berühmtem Hammer zu vermeiden, sollte auch vor dem Wettkampf ausreichend getrunken werden – allerdings nicht zu kurzfristig, denn während der Belastung kann wie gesagt nur begrenzt Wasser resorbiert werden. Eine empfehlenswerte Strategie:  Eine Woche vor einem Wettkampf die Wasserspeicher mal so richtig leer laufen zu lassen und dann die Tage vorher überdurchschnittlich viel trinken, um die Speicher wie bei einem Kamel die Höcker maximal zu füllen. In den Stunden vor dem Wettkampf und während der Wettkampfbelastung selbst sollte die Dünndarm-Schwelle von 400-800 ml pro Stunde nach einer Wettkampfzeit von 45-60 Minuten (vorher ist Trinken unnötig) nicht überschritten werden. Bei langen Ausdauerbelastungen empfiehlt sich zusätzlich, Natrium und Glukose zu supplementieren. Auf geht’s!

 


Quellen:

Casa, D. J., Clarkson, P. M., & Roberts, W. O. (2005). American College of Sports Medicine roundtable on hydration and physical activity: consensus statements. Current sports medicine reports, 4(3), 115-127.
Dougherty, K. A., Baker, L. B., Chow, M., & Kenney, W. L. (2006). Two percent dehydration impairs and six percent carbohydrate drink improves boys basketball skills. Medicine and science in sports and exercise, 38(9), 1650-1658.
Laursen, P. B., Suriano, R., Quod, M. J., Lee, H., Abbiss et al. (2006). Core temperature and hydration status during an Ironman triathlon. British Journal of Sports Medicine, 40(4), 320–325. http://doi.org/10.1136/bjsm.2005.022426
http://www.netzathleten.de/ernaehrung/sportler-ernaehrung/item/6117-fluessigkeitshaushalt-auch-beim-trinken-entscheidet-das-timing
http://www.netzathleten.de/ernaehrung/sportler-ernaehrung/item/867-sportgetraenke-trinken-beim-sport
http://www.rp-online.de/panorama/ausland/us-student-stirbt-unter-mysterioesen-umstaenden-aid-1.1608411