Schönheit kommt bekanntlich von Innen. Gesundheit allerdings auch. In einer Zeit, in der uns der technische Fortschritt immer älter werden lässt, sinkt paradoxerweise (oder logischerweise, wenn man den Lebensstil vieler Menschen betrachtet) die Zeit, in der die subjektive Lebensqualität hoch ist. Entsprechend wird es immer wichtiger, mit möglichst geringem Verlust an Lebensqualität gesund alt zu werden. Und in der Tat sinkt die Lebensspanne in modernen Gesellschaften, in der wir nicht von einer chronischen Krankheit betroffen sind [1]!

Im Jahr 2008 hat das National Institutes of Health (NIH), die wichtigste Behörde für biomedizinische Forschung in den USA, das Human Microbiome Project als Public-Health-Initiative gestartet. Seither sind viele wichtige Erkenntnisse zum Einfluss des Darms auf die Gesundheit, insbesondere der intestinalen Mikroorganismen, gewonnen und robuste Zusammenhänge zwischen der Darmflora und vielen der weltweit führenden Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs etc. identifiziert worden.

Darm ohne Charme: Sitzt der Tod in unserem Verdauungstrakt?

Etwas smarter als der von Paracelsus geprägte Satz „Der Tod sitzt im Darm“ hat es Hippokrates mit „Der gesunde Darm ist die Wurzel aller Gesundheit“ formuliert. Der Vater der modernen Medizin war der Wissenschaft um viele Jahrhunderte voraus. Die Funktionalität des Immunsystems, der Psyche sowie spezifischer inter- und intraorganischer Stoffwechselvorgänge ist maßgeblich von der intestinalen Homöostase abhängig, d.h. von einer Darmflora, die sich aus symbiotischen, essentiellen Nährstoffen produzierenden Mikroorganismen generiert. Eine herausragende Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2018 [2] fasst den Status Quo über den Zusammenhang zwischen der Komposition der Darmflora und der Gesundheit der Skelettmuskulatur zusammen. Dabei steht das Konzept der sogenannten Darm-Muskel-Achse im Mittelpunkt, die einen enorm wichtigen Einfluss auf unsere Gesundheit und das Wohlbefinden zu haben scheint. Aus diesem Review geht hervor, dass es altersbedingt häufig zu folgenden Veränderungen kommt:

  • Die Tendenz zu abormalen bis pathologischen Veränderungen in der mikrobiellen Zusammensetzung der Darmflora beschleunigt sich (mikrobielles Ungleichgewicht)
  • die Muskulatur verliert an Masse und damit an Kontraktionsfähigkeit (Sarkopenie)
  • Anstieg der Serum-Endotoxin-Werte
  • erhöhter Entzündungszustand, einschließlich
    o oxidativer/nitrosativer** Stress
    o Immun- und endokrine Seneszenz (= Zellalterung)
    o Erbgutschäden sowie epigenetische Modifikation***
  • Infiltration von Fettgewebe in die Skelettmuskulatur, was mit einer Beeinträchtigung der Beweglichkeit und Funktionsverlust des Muskels verbunden
  • zusätzlich Fettinfiltration in die Knochenstruktur (osteosarkopenische Adipositas)

Im Schulterschluss können diese Veränderungen bei älteren Menschen (> 65 Jahre) signifikant die Gesundheit verschlechtern, was sich nicht nur in Energiemangel, Infektanfälligkeit und Stimmungsschwankungen äußern kann, sondern durch Beeinträchtigung der muskulären Funktionalität die Bewältigung alltäglicher Aufgaben erschwert – mit erheblichem Einfluss auf die Lebensqualität (Abb.1)

Nicht nur Bewegungsantrieb – Muskeln als endokrines Organ!

Darüber hinaus deuten Ergebnisse der Forschungsgruppe um Fredrik Bäckhed [3] an, dass die Körperkomposition (% Fett, Muskulatur, Wasser) von der Zusammensetzung der Darmflora abhängig ist. Auf diese Weise werden auch die metabolischen Eigenschaften der Skelettmuskulatur beeinflusst. Das geschieht wie folgt: Eine Dysbiose, d.h. ein mikrobielles Ungleichgewicht im Darm, erhöht die Darmdurchlässigkeit und fördert damit den Übertritt entzündungsfördernder mikrobieller Bestandteile (wie z.B. Endotoxin) in die Blutbahn. Dadurch können Entzündungen auch an weiter entfernten Organen wie der Muskulatur hervorgerufen werden. Entzündungen wiederum fördern eine Insulinresistenz. Und die hat die Abnahme an Baustoffen zum Erhalt kontraktiler Elemente in der Muskulatur zufolge, was eine Muskelschwäche provozieren und in Muskelschwund münden kann.

Durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse wird die Muskulatur immer stärker als endokrines Organ erkannt [4]. Deshalb wird ihr mittlerweile sogar eine systemische Relevanz zugesprochen, also weit mehr als Mittel zum Zweck zur Bewegungsinitierung. In dem Review [2] wird von den Autoren herausgestellt, dass sich eine (altersbedingte) Veränderung der Darmflora auf die Funktionalität der Muskulatur auswirkt. Dabei beruht die muskuläre Funktionseinschränkung auf Fettinfiltration, Muskelschwund durch chronische Entzündung und veränderten metabolischen Eigenschaften (Insulinresistenz). Eine gesunde Darmflora hat demnach das Potential, diesen Veränderungen effektiv vorzubeugen und entgegenzuwirken.

 

 

Abb. 1: Die Darm-Muskel Achse, welche zu altersbedingten Veränderungen in der Größe der Skelettmuskulatur, ihrer Zusammensetzung und Funktion beiträgt.

 

Die bisher bekannten Erkenntnisse liefern die Grundlage für strategische Interventionen, die darauf abzielen, die Darmflora neu zu besiedeln. In der Folge wird durch die Darm-Muskel-Achse nicht nur die zelluläre Muskelgesundheit gefördert, sondern auch die Zeitspanne einer hohen Lebensqualität verlängert. Im Kontext einer immer älter werdenden Bevölkerung sollte dies das erklärte Ziel gesundheitswissenschaftlicher Disziplinen sein.

*Endotoxine sind Zerfallsprodukte von (intestinalen) Bakterien, die im Menschen zahlreiche physiologische Reaktionen auslösen können. In hohen Konzentrationen können sie Entzündungsreaktionen an vielen Stellen des Körpers hervorrufen

**Nitrosativer Stress ist eine verstärkte Form von oxidativem Stress, der zahlreiche körperliche Strukturen schädigt und zu vielfältigen Gesundheitsstörungen führen kann (u.a. Peroxynitrit (ONOO-)).

***Umwelteinflüsse können sich über die Veränderung zellspezifischer Muster auf die Genregulation auswirken, wodurch auf die Produktion bestimmter Moleküle zu- oder abnimmt. Das kann eine positive (Gesundheit) oder negative (Krankheit) Anpassung zur Folge haben.

Literatur

[1] Internetquelle. Jan-Willem Bruggink, Bob Lodder & Mohammed Kardal: Healthy life expectancy higher. In: https://www.cbs.nl/en-gb/news/2009/07/healthy-life-expectancy-higher. 12.02.2009

[2] Grosicki, G. J., Fielding, R. A. & Lustgarten, M. S. (2018). Gut Microbiota Contribute to Age-Related Changes in Skeletal Muscle Size, Composition, and Function: Biological Basis for a Gut-Muscle Axis. Calcif Tissue Int, 102:433–442. DOI:10.1007/s00223-017-0345-5

[3] Bäckhed, F., Ding, H., Wang, T., Hooper, L. V., Koh, G. Y., Nagy, A., Semenkovich, C. F. & Gordon, J. I. (2004). The gut microbiota as an environmental factor that regulates fat storage. Proc Natl Acad Sci USA 101:15718–15723

[4] Karsenty, G. & Olson, E. N. (2016). Bone and Muscle Endocrine Functions: Unexpected Paradigms of Inter-organ Communication. Cell 164 DOI: 10.1016/j.cell.2016.02.043